Kein Durchkommen für die Retter

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Rhein-Main. Bei der Hilfe nach einem schweren Unfall zählt oft jede Minute. Doch immer wieder werden die Helfer behindert, wie dieser Tage das Busunglück in Bayern gezeigt hat. Die Rettungsgasse wird nicht durchgehend gebildet. Auch auf den hessischen Straßen gibt es damit gravierende Probleme ...

Verkehr Ärzte, Sanitäter und Feuerwehr kritisieren, dass Autofahrer nur selten eine Rettungsgasse bilden

VON KLAUS SPÄNE

Für die Feuerwehrleute aus Friedrichsdorf war höchste Eile geboten: Der Fahrer eines Fiat Ducato war in sein Fahrzeug eingeklemmt, nachdem er mit seinem Kleintransporter ungebremst in eine Baustellenabsicherung auf der Autobahn gerast war. So hatte es im Notruf gelautet, der in der Zentralen Leitstelle des Hochtaunuskreises eingegangen war. Ort des Geschehens: die A 5 Richtung Süden etwa ein Kilometer vor dem Bad Homburger Kreuz, ein besonders unfallträchtiger Abschnitt auf einer der wichtigsten deutschen Verkehrsachsen. An ein schnelles Durchkommen zur Unfallstelle war jedoch nicht zu denken, denn als die großen Einsatzfahrzeuge zur Unfallstelle fahren wollten, hatten Lastwagen alle fünf Spuren blockiert. „Uns ist nichts anderes übrig geblieben, als mit dem schweren Rettungsgerät mehrere hundert Meter zu Fuß über die Autobahn zu laufen“, erinnert sich Ulrich Neeb, Stadtbrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehren Friedrichsdorf, an die Situation vor ein paar Jahren. Und das alles nur, weil die anderen Autofahrer keine Rettungsgasse gebildet hatten, die in solchen Fällen zwingend notwendig ist.

Kein Ausnahmefall

Für Neeb und seine Leute war dies kein Ausnahmefall. „Wir haben das über die Jahre beobachtet“, sagt der Stadtbrandinspektor. Es komme auch vor, dass die Autofahrer eine Lücke, die sich gebildet hat, sofort wieder schließen, sobald die ersten Einsatzfahrzeuge durchgefahren sind oder dass einzelne Fahrer einfach den Rettungswagen folgen, um möglichst schnell vorwärts zu kommen. „Für uns ist das immer eine vertrackte Situation, weil jede Minute zählt“, betont Neeb den Stellenwert einer Rettungsgasse.

Welche Dimension dies hat, machte am Montag dieser Woche auf tragische Weise das Busunglück in Oberfranken bewusst. Dort war a nach einem Auffahrunfall auf der A 9 ein Reisebus in Flammen aufgegangen, wobei 18 Menschen starben. Sicherheits-, Rettungskräfte und Politik ärgerten sich, dass Autofahrer nach dem Unfall keine Rettungsgasse gebildet hatten und es die Einsatzkräfte daher schwer hatten, zur Unglückstelle zu gelangen. „Da sind die Helfer in unverantwortlicher Art und Weise behindert worden“, übte auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) harsche Kritik.

Gleichzeitig ist eine Diskussion darüber aufgekommen, ob Autofahrer nicht in Zukunft stärker sanktioniert werden sollen, wenn sie fahrlässig im Weg stehen. Derzeit kostete es 20 Euro. Dazu gehört auch ein Vorstoß der hessischen Landesregierung im Bundesrat, höhere Strafen für Verkehrssünder zu verhängen.

Kampagne gestartet

Mit dem Problem der nicht funktionierenden Rettungsgassen beschäftigen sich die Verantwortlichen hierzulande jedoch schon länger. So initiierte das hessische Innenministerium 2015 eine Aufklärungskampagne, bei der die Autofahrer mit Bannern an Autobahnbrücken, durch Radiospots, Plakaten an Tank- und Rastanlagen sowie Aufklebern und Flyern für das Thema sensibilisiert werden sollten.

Einen nachhaltigen Effekt scheint dies bisher nicht ausgelöst zu haben. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich unter den Praktikern umhört. „Es funktioniert in der Regel einfach nicht“, sagt Uwe Hambückers, Rettungsdienstleiter im Hochtaunuskreis. Hauptproblem sei zwar die zunehmende Verkehrsdichte.

Bei vielen Autofahrern stellt Hambückers aber auch Unverständnis bis zu Beschimpfungen fest. Kritik übt Hambückers, der für einen privaten Rettungsdienst in Kelsterbach arbeitet, vor allem am Verhalten von Lkw-Fahrern, die auf die mittlere Spur auswichen und diese blockierten.

„Eine Mischung aus Voyeurismus, Ignoranz und fahrerischen Unzulänglichkeiten“ sieht Daniel Guischard, Leiter der Bad Homburger Feuerwehr, bei vielen Verkehrsteilnehmern. „Nahezu bei jedem Einsatz ist es ein Problem, dass die Einsatzfahrzeuge nicht durchkommen.“ Teilweise werde die Fahrgeschwindigkeit, die im Schnitt 80 bis 100 Kilometer pro Stunde betrage, auf Schrittgeschwindigkeit reduziert. Dabei schnitten sich die Autofahrer ins eigene Fleisch. Denn je länger Rettungskräfte aufgehalten würden, „desto länger stehen die Verkehrsteilnehmer im Stau“.

Wie man sich bei einem Unfall richtig verhält

Auf einspurigen Straßen sollten Autofahrer beim Herannahen der Rettungskräfte das Tempo drosseln, nach rechts an den Fahrbahnrand ausweichen und, wenn erforderlich, anhalten. Auf mehrspurigen Straßen und Autobahnen besteht die Pflicht, eine Rettungsgasse zu bilden – bei zwei Fahrstreifen pro Richtung in der Mitte. Autos auf dem linken Fahrstreifen müssen also an den linken Fahrbahnrand fahren, die auf der rechten Spur an den rechten. Bei drei und mehr Fahrstreifen muss die Gasse zwischen der äußersten linken und der direkt rechts daneben liegenden Spur freigehalten werden. Bei Verstößen droht ein Bußgeld. Autofahrer, die direkt nach dem Blaulichtfahrer durch die Gasse preschen, können wegen Straßenverkehrsgefährdung den Führerschein verlieren. Im Extremfall droht Gefängnis.

Nur Blaulicht und Martinshorn gemeinsam gewähren einem Einsatzwagen laut Straßenverkehrsordnung das Wegerecht. Andere Verkehrsteilnehmer müssen sofort freie Bahn schaffen. Das Wegerecht darf in Anspruch genommen werden, um etwa Menschenleben zu retten. ks

Rettungsgasse: Das Prinzip Egoismus

Es ist im Prinzip alles ganz einfach: Wenn nach einem Unfall die Rettungskräfte mit Blaulicht und Martinshorn von hinten nahen, fahren die anderen Verkehrsteilnehmer zur Seite, lassen also die Helfer auf einer Rettungsgasse passieren. So die Theorie. Dass dieses einfache Prinzip in der Praxis nur in Ausnahmefällen funktioniert, passt in eine Entwicklung, die Polizei und Verkehrsexperten seit Jahren beklagen und die da heißt: Die Verkehrsmoral geht hierzulande offenbar immer mehr vor die Hunde. Symptome dafür sind Vergehen wie Parkplatzrempler, die als Kavaliersdelikte betrachtet werden, bei Rot über die Ampel fahren, was bei manchen als eine Art Gewohnheitsrecht gilt, Raserei oder eben die weit verbreitete Unsitte, bei Unfällen keine Gasse zu bilden, was Feuerwehr und andere Helfer regelmäßig bei ihren Einsätzen in die Verzweiflung treibt.

Gleichzeitig wirft der tägliche Wahnsinn auf den Straßen auch ein bezeichnendes Licht auf ein generelles Phänomen. Von der „Gedankenlosigkeit unserer Gesellschaft“, die sich im Unvermögen oder im Unwillen beim Bilden der Rettungsgassen abbildet, spricht Friedrichsdorfs Stadtbrandinspektor Ulrich Neeb. Man könnte noch weitergehen und den zunehmenden Hang vieler Zeitgenossen zum Ausleben ihrer persönlichen Interessen auf dem Rücken anderer nennen. Das fängt an beim Gaffen und kulminiert im Behindern von Einsätzen oder unterlassener Hilfeleistung, weil es manchen Verkehrsteilnehmern offenbar wichtiger ist, dramatische Ereignisse mit dem Handy festzuhalten und anschließend in der Gier nach Likes in den sozialen Netzwerken zu posten.

Angesichts solcher Zustände ist es zwar begrüßenswert, dass die Politik die Bußgelder bei Nichtbeachtung von Rettungsgassen markant erhöhen will. Andererseits ist es unverständlich, dass die Bundesregierung der Wild-West-Mentalität gerade auf den Autobahnen nicht längst einen Riegel vorgeschoben hat – zum Beispiel durch ein flächendeckendes Tempolimit. Das wäre jedenfalls ein wichtiges Signal, um zu zeigen, dass die Straße kein Tummelplatz der unbegrenzten Möglichkeiten und des Auslebens von Egoismus ist.

Härtere Strafen für Autofahrer - Rettungsgassen Hessen macht einen Vorstoß im Bundesrat – Rückendeckung von der Polizei

Autofahrern, die keine Rettungsgasse bilden, sollen in Zukunft stärker zur Kasse gebeten werden. Hessen fährt dabei eine besonders harte Linie. Während die Bundesregierung zurzeit eine gestaffelte Erhöhung zwischen 55 und 115 Euro gegenüber dem bisherigen Regelsatz von 20 Euro plant, will das Land noch einen Schritt weitergehen und bundesweit für das Nichtbilden einer Rettungsgasse Strafen zwischen 105 und 165 Euro festschreiben. Über den Antrag sollte der Bundesrat gestern debattieren, bei Redaktionsschluss stand aber noch nicht fest, ob es dazu eine Entscheidung gab.

„Das Bilden einer Rettungsgasse ist kein höflicher Vorschlag der Einsatzkräfte, sondern jeder Verkehrsteilnehmer ist dazu verpflichtet“, begründete Innenminister Peter Beuth (CDU) den Vorstoß. Wenn Menschen Hilfe benötigten, gäbe es leider immer noch Fahrer, die sich nicht an die Regeln hielten und zum Teil sogar die Rettungsgasse nutzten, um schneller voranzukommen. „Wer rücksichtslos Menschenleben und Rettungskräfte gefährdet, muss so hart bestraft werden, dass es wehtut“, sagt Beuth. „Jedem Auto- oder Lkw-Fahrer muss künftig klar sein, dass die Konsequenzen spürbar auf die Geldbörse schlagen“, so der hessische Innenminister.

Rückendeckung erhält Beuth aus den Reihen der hessischen Polizei. Die Autobahnpolizei Mittelhessen in Butzbach, die für die Autobahnen A 5, A 45, A 480 und A 485 zuständig ist, begrüßt die Initiative „ausdrücklich, weil es im Interesse der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer liegt“.

Auch Thomas Bernhard, Leiter der Polizeiautobahnstation Frankfurt mit Sitz in Neu-Isenburg, begrüßt die geplante Erhöhung . „Wir quälen uns oft durch die Rettungsgassen“, berichtet der Polizeihauptkommissar. Gelegentlich würden die Einsatzkräfte sogar durch Autofahrer behindert, die „auf der Gasse“ stünden.

Der Polizei seien bislang meist die Hände gebunden. „Bis auf wenige Nadelstiche können wir nichts machen,“, sagt Bernhardt. Nur in verschwindend geringen Fällen könne einmal ein Autofahrer angezeigt werden. Dabei zeige das Beispiel Österreich, dass höhere Bußgelder sinnvoll seien. Dort funktionierten die Rettungsgassen einigermaßen.

Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.