Retter demonstrieren für mehr Respekt

 Frankfurt. Die Zahlen sind erschreckend: Drei von vier Beamten geben an, im Dienst bereits verbal oder körperlich angegriffen worden zu sein. 3500 Übergriffe gegen Polizisten gab es 2017 in Hessen. 90 Prozent der Rettungssanitäter wurden im Einsatz schon bespuckt. Gegen diese Zustände demonstrierten am Samstag rund 200 Feuerwehrmänner und Sanitäter auf dem Römerberg. Ihre Geschichten zeigen: Das Problem sind nicht nur ein paar Idioten ...

Unter dem Motto „Hände weg! Wir sind Eure Retter!“ protestieren Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Feuerwehr in Frankfurt. Bild: Unter dem Motto „Hände weg! Wir sind Eure Retter!“ protestieren Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Feuerwehr in Frankfurt.

Einsatzkräfte Feuerwehrmänner und Sanitäter berichten in Frankfurt von immer mehr Pöbeleien und Angriffen

VON FRIEDRICH REINHARDT

Wenn Feuerwehrchef Reinhard Ries gefragt wird, was einen professionellen Feuerwehrmann ausmacht, fällt die Antwort anders aus als vor zehn Jahren. Heute sagt er nämlich Sätze wie: „Ein Feuerwehrmann muss ruhig bleiben, auch wenn er ständig angepöbelt wird.“ Deeskalationstraining gehört mittlerweile zur Ausbildung – ganz so, als käme die Feuerwehr mit einem pädagogischen Auftrag zum Einsatzort. Doch zumindest verbale Attacken sind für Rettungskräfte Alltag. Ob sie mit ihnen richtig umgehen, entscheidet, wie schnell sie ihre eigentliche Arbeit machen können.

Nicht selten werden Rettungskräfte auch körperlich angegriffen. So zum Beispiel Manuel Lorei von der Frankfurter Feuerwehr. Er war einer von rund 200 Feuerwehrmännern und Sanitätern, die am Samstag auf dem Römerberg für mehr Respekt gegenüber Rettungskräften demonstrierten. „Hände weg! Wir sind eure Rettung“ lautete das Motto.

Lorei erzählt von der Silvesternacht: Jedes Jahr gibt es in Frankfurt zum Jahreswechsel Brennpunkte, die diese Namen verdienen. Wo er im Einsatz war, will er nicht sagen. Aber mehr als einmal wurden er und seine Kollegen mit Böllern beworfen – auch mit illegalen und besonders gefährlichen. Mit Raketen beschoss man sie und einmal schob plötzlich jemand eine brennende Mülltonnen in die Fahrbahn des Feuerwehrfahrzeuges. Lorie sagt: „Es ist gefährlich, aber solche Chaoten gibt es jedes Jahr.“

Doch bei der Demonstration am Samstag ging es Lorei und den anderen Rettungskräften nicht nur um körperliche Angriffe. Sie beobachten auch einen grundsätzlichen Wandel, der sich durch die ganze Gesellschaft zieht. Der Frankfurter Feuerwehrmann Eric Brumm etwa hat kein bestimmtes Milieu im Sinn, wenn er sagt: „Die Leute scheinen vergessen zu haben, wie wichtig unsere Arbeit ist.“ Wie das aussieht, beschreibt er an einem Beispiel, von dem er sagt, dass jede Rettungskraft eine ähnliche Geschichte erzählen könne.

Brumm und seine Männer sind auf dem Weg zu einem Einsatz. Ein Kind ist eingeklemmt. Jeder im Feuerwehrwagen bereitet sich gedanklich auf den Einsatz vor. Welches Werkzeug brauche ich? Werden wir mit Polizei oder Sanitätern zusammenarbeiten? Als die Feuerwehrmänner ankommen, springen sie aus dem Wagen. Sofort hupt ein Geländewagen hinter ihnen. Der Fahrer fängt an zu pöbeln: Warum sie die Straße blockierten, dass sie zu blöd zum Autofahren seien und dass er keine Zeit für solche Fisimatenten habe.

Die Feuerwehrmänner bringt das aus dem Konzept. Dabei müssten sie sich eigentlich auf die Notlage des Kindes konzentrieren. Am Ende seiner Geschichte schüttelt Brumm den Kopf. „Ist dem Autofahrer denn die Person egal, der wir helfen? Es ist doch eine Frage der Menschlichkeit, uns in Ruhe arbeiten zu lassen“, sagt er.

Es geht alle an

Auch der Rettungssanitäter Kemal Ünaldi wird häufig angepöbelt. „Wenn ich mich von jemandem bedroht fühle, kehre ich ihm doch nicht den Rücken zu. Wie soll ich da einem Dritten helfen?“ Dann erzählt Ünaldi von den Gaffern. Manche wollen, dass er während der Arbeit erklärt, warum er was tut. Fast überall filmt oder fotografiert irgendjemand, wenn er einem Menschen hilft: Selbst, wenn er den Hilfsbedürftigen dabei entkleiden muss oder er ihn reanimiert.

Würde Ünaldi sagen, dass es in den vergangenen zehn Jahren schlimmer geworden ist? Er ist sich unsicher. „Es kann auch sein, dass ich empfindlicher geworden bin.“

Zwar gehört es heute zu seinem Job, bei Pöbeleien ruhig zu bleiben. Doch die regelmäßigen Beleidigungen kratzten wie 1000 Nadeln an seiner Schale. Mit der Zeit werde es schwerer, professionell zu bleiben, sagt er.

Hört man Ünaldi zu, bekommt man den Eindruck, dass der Wandel eine Schattenseite der Dienstleistungsgesellschaft ist. „Man beurteilt uns wie Servicemitarbeiter.“

Einmal wurde er zum Flughafen gerufen. Einer Frau war schwindelig und übel. Sie forderte Ünaldi auf, doch schnellstens etwas dagegen zu tun. Schließlich ginge bald ihr Flug. Er sagte ihr, dass man wegen so etwas keinen Krankenwagen rufe, dass er sie nur ins Krankenhaus bringen könne. Denn Medikamente darf er nur bei Lebensgefahr verabreichen. Die Frau war empört. Ünaldi erzählt auch, dass manche den Krankenwagen rufen, weil sie hoffen, so die Warteschlange in der Notaufnahme zu umgehen.

Es sind nicht nur ein paar Idioten, die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit behindern. Feuerwehrchef Ries sagt deshalb, dass es ein gesamtgesellschaftliches Engagement braucht, um das Problem zu lösen. Sehe ein Passant, wie Sanitäter angepöbelt werden, dann solle er sich einschalten und sagen: „Mach dich vom Acker und lass die Jungs ihre Arbeit machen.“

Wenn jemand aus der Familie oder dem Bekanntenkreis Fotos oder Videos von einem Unfall zeigt, dann müsse man demjenigen klar machen, dass es dumm ist, im Weg zu stehen und Aufnahmen mit dem Handy zu machen. In solchen Situationen gibt es dann tatsächlichen einen pädagogischen Auftrag.

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.