Turbo-Rettung hat Test bestanden

hr-online.deFrankfurt. 590 Opfer auf der Landbahn zwischen Trümmerteilen, Koffern und Gepäckboxen - dieses Szenario bot sich den Rettern nach dem angenommenen Flugzeug-Zusammenstoß auf dem Frankfurter Flughafen. Doch nach dem Alarm herrschte unerwartet Stille.
 
Mit einem kleinen Computer (PDA) werden die Daten der "Verletzten" gespeichert. (Bild: wiesbaden112.de)Bild: Mit einem kleinen Computer (PDA) werden die Daten der "Verletzten" gespeichert.

Beobachter der Großübung auf dem Frankfurter Flughafen sind weitgehend einig: Die elektronische Erfassung von Verletzten könnte die Rettung im Katastrophenfall immens beschleunigen. Es gab aber auch Kritik.  

Dass die Opfer bis zur ersten Versorgung nicht alle vor Schmerz schreiend auf der Landebahn lagen, sei durchaus realistisch, sagte Nikolaus Meyer, Pressesprecher der Frankfurter Feuerwehr gegenüber hr-online: "Die, die einen Schock haben, schreien nicht viel." Für die Rettungskräfte sei das Szenario wirklichkeitsnah. "Beim Abtransport des ersten Opfers wissen sie noch - das ist ein Darsteller. Beim zweiten, dritten dann schon nicht mehr."

Erleichterung beim Projektleiter
Leo Latasch (l.) und Helge Braun zeigen das PDA und ein Armband mit RFID-Chip. (Bild: wiesbaden112.de)

Bild:
Leo Latasch (l.) und Helge Braun zeigen das PDA und ein Armband mit RFID-Chip.


Die Retter teilten die Verletzten ruhig ein und versorgten sie entsprechend. Die vielen Beobachter aus dem In- und Ausland waren sich über den Erfolg weitgehend einig. Helge Braun, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, zeigte sich zufrieden: "Nach zwölf Minuten hatten wir die erste Verletzten-Registrierung im SOGRO-System, nach 30 Minuten ein klares Lagebild." Beim ICE-Unglück in Eschede oder bei der Loveparade habe es nach Stunden noch keine eindeutige Lageübersicht gegeben.

Große Erleichterung herrschte auch bei SOGRO-Projektleiter Leo Latasch, der die Rettungsübung über ein Jahr vorbereitet hatte: "Nach 30 Minuten hatten wir schon 193 erfasste Unfallopfer. Bei dem bislang üblichen System braucht man für 50 Patienten etwa 60 Minuten." Israelischer Beobachter: "Beeindruckend"Auch ausländische Beobachter waren begeistert. "Mich hat beeindruckt, wie schnell die Patienten mit einem PDA nach dem Grad ihrer Verletzung kategorisiert werden können", sagte Eran-Tal Or vom israelischen Rambam Medical Center. Auch die Absprache zwischen den Rettungskräften vor Ort und in den Krankenhäusern sei faszinierend gewesen.

"Das System verspricht einen riesigen Fortschritt für alle die mitgemacht haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir PDA in ein oder zwei Jahren weltweit nutzen", sagte der Israeli. Wegen der hohen Anschlagsgefahr interessiere sich Israel besonders für die Technologie."Überlebenschance hängt von der ersten Stunde ab"Grund für die Erprobung der elektronischen Verletzten-Erfassung: Das bislang gebräuchliche System mit den händisch ausgefüllten Verletztenanhängekarten ist fehleranfällig. Bei vergleichbaren Ereignissen wurden Karten von den Rettungskräften unvollständig ausgefüllt. Bis die Kopien dieser Karten im Lagezentrum ankamen, vergingen oft Stunden.

Die Erfassung mit dem tragbaren Computerlesegerät (PDA) hilft Rettern, die Informationen richtig zu strukturieren und vollständig zu erfassen. "Für die Verletzten sind auch wenige Minuten Zeitgewinn überaus kostbar, wenn sie beispielsweise mit einem offenen Bein herumliegen", kommentierte ein Sprecher während der Übung. Helge Braun weiß: "Die Überlebenschance der Verletzten hängt von der ersten Stunde ab - hier muss die bestmögliche Versorgung erfolgen."Auch kritische Stimmen nach ÜbungNikolaus Meyer von der Frankfurter Feuerwehr erläuterte: "Das elektronische Erfassungsystem bringt in sehr kurzer Zeit Ruhe und Ordnung in eine zunächst zwangsläufig sehr chaotische Situation. Denken Sie beispielsweise an die Bürgertelefone - hier kann man Angehörige schon nach sehr kurzer Zeit mit verlässlichen Informationen versorgen."

Kritisch äußerten sich dagegen Beobachter einer Feuerwehr aus Nordrhein-Westfalen: "Zunächst wurden alle Leichtverletzten vom Unglücksort weggeführt und erst dann die Schwerstverletzten versorgt. Das war viel zu spät, hier stimmte die Reihenfolge nicht."

Auch die Unterbringung so vieler Verletzter in Frankfurter Krankenhäuser könne im Realfall nicht funktionieren, so die Einschätzung der Beobachter. Ein Krankenhaus kann maximal drei Schwerverletzte gleichzeitig in Operationssälen versorgen - bei 16 an der Übung beteiligten Frankfurter Krankenhäusern könne man sich ausrechnen, dass das so nicht aufgehen würde.

Audio: Fazit: "Für Katastrophen gut vorbreitet" 2:42 Min
(© Sascha Lapp, hr, 09.10.2010)

Quelle: hr-online.de