Vom Retter zum Brandstifter: Wenn Feuerwehrleute zündeln

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Frankfurt. Eine halbe Million Menschen in Hessen sind Mitglied in Feuerwehrvereinen. Sie unterhalten Wehren, bilden Nachwuchs aus, feiern und ehren langjährige Mitglieder. Leider fällt (zu) oft mal einer von ihnen als Feuerleger statt als Retter auf. Es gibt einen Trost: Das Problem ist ein europäisches, vielleicht sogar ein weltweites ...

Auch ein Werk des „Feuerteufels von Einhausen“? Der Brand in einer dortigen Kunststofffabrik aus dem Jahr 2008 ist bis heute nicht aufgeklärt - Foto: Boris Roessler (dpa)
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Auch ein Werk des „Feuerteufels von Einhausen“? Der Brand in einer dortigen Kunststofffabrik aus dem Jahr 2008 ist bis heute nicht aufgeklärt - Foto: Boris Roessler (dpa)

Von GEORG HAUPT

Die letzte Festnahme ist gerade mal ein paar Wochen her. Nach einem Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr im südhessischen Einhausen, die ausgerückt war, um 30 brennende Strohballen an einem Feldrand zu löschen, klickten die Handschellen. Die Polizei nahm vor seinem nicht weit vom Einsatzort entfernten Haus ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr fest.

Der Neunzehnjährige, der der seit Monaten gesuchte „Feuerteufel von Einhausen“ sein soll, gehörte bereits seit seinem zehnten Lebensjahr der Feuerwehr an und hatte sich nicht nur an diesen Löscharbeiten beteiligt, sondern zusammen mit seinen Kameraden auch an der Suche nach dem Brandstifter. Eine Serie von Bränden hatte über Monate rund um das 6500-Einwohner-Dorf im Kreis Bergstraße die Bevölkerung beunruhigt.

Inzwischen hat der junge Mann laut Polizei ein Geständnis für „mehr als ein Dutzend Brände“ abgelegt. Man gehe aber davon aus, dass der Festgenommene für alle 40 Brandstiftungen in der Gemarkung von Einhausen verantwortlich sei. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat seine vorläufige Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet, da sich in den Vernehmungen „begründete Zweifel an seiner Schuldfähigkeit“ ergeben haben. Auch das ist – neben der Parallelität von Brandstiftung und aktiven Feuerwehreinsätzen – typisch für Fälle dieser Art: Mit den Tätern stimmt irgendetwas nicht, doch niemand weiß genau, was.

Meistens junge Männer

Rund 20 000 Brandstiftungen weist die Kriminalstatistik pro Jahr deutschlandweit aus, 40 davon können Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehren zugeordnet werden. Die Dunkelziffer ist hoch, denn diese waren in den allermeisten Fällen als Serientäter unterwegs und die meisten Feuerlegungen bleiben ohnehin unaufgeklärt.

Aber warum ist die Neigung unter Feuerwehrleuten – viele davon sind noch im Alter von Heranwachsenden zwischen 18 und 20 Jahren – besonders groß, erst einmal einen Brand zu legen, bevor sie dann helfen, diesen zu löschen? Der Stuttgarter Psychiater Reinmar du Bois hat in vier Brandstifterprozessen nach den Ursachen gesucht und bei den von ihm untersuchten Tätern Minderwertigkeitskomplexe, enorme Kränkbarkeit, Lebenskrisen, Probleme mit der Freundin oder der Familie oder eine nicht bestandene Prüfung ausgemacht. Derartige psychische Beeinträchtigungen oder Rückschläge in der Entwicklung sind aber auch nicht so selten, dass die Betroffenen gleich zum Benzinkanister greifen und die nächste Scheune in Flammen setzen müssten.

Wunsch nach Bewährung

In einer der wenigen Studien über derartige Tätergruppen konnte der Heidelberger Psychotherapeut Winfried Barnett zudem in 70 Prozent der von ihm untersuchten 120 Fälle noch eine „psychosozial gestörte Herkunftsfamilie“ oder einen Hang zum Alkohol feststellen. Einige der Täter berichteten auch über einen Zusammenhang zwischen sexueller Erregung und ihren Hang zur Pyromanie.

Der Psychologe Rudolf Egg, zugleich Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, einer Forschungs- und Dokumentationseinrichtung von Bund und Ländern, sieht für das Zusammenspiel zwischen Brandstiftungen und einer Mitgliedschaft in der Feuerwehr einige fast schon zwingende Gründe.

„Wenn einer dieser jungen Männer, der noch nichts ist, kein Geld hat und vielleicht auch bei den Mädchen nicht so ankommt, in einem Verein als Feuerwehrmann eine bestimmte Größe erlangt, erwächst bei manchen eben auch bald der Wunsch, sich in dieser Rolle zu bewähren.“ Passiert dann lange nichts, werde der Einsatz eben selbst ausgelöst, so der Psychologe, der allerdings davor warnt, derartige Handlungen voreilig zu pathologisieren, also für krankhaft zu erklären. Im Grunde sei das Motiv vorherrschend, an Bedeutsamkeit zu gewinnen und Macht auszuüben, so wie es Kinder beim Klingeln an fremden Türen auch täten. Mit derartigen Verhaltensweisen ihrer Mitglieder müssten sich übrigens nicht nur die Feuerwehren in Deutschland auseinandersetzen, es handele sich vielmehr um ein internationales Phänomen.

Wenn das Thema jemandem unangenehm ist, dann sind dieses die Feuerwehren. Die Freiwillige Feuerwehr in Hessen ist mit 75 000 Aktiven (zuzüglich 27 600 Mitgliedern der Jugendfeuerwehren) und darüber hinaus rund einer halben Million in Vereinen tätigen Männern und Frauen die größte Hilfeleistungsorganisation im Land. Ohne die 2600 Wehren, unterstützt von Berufsfeuerwehren in den sechs größten Städten Hessens, wäre die schnelle Bekämpfung von Bränden nicht gewährleistet. Darauf weist auch der Medienreferent im Landesfeuerwehrverband, Holger Schönfeld, erst einmal hin, bevor er dann einräumt, dass man im Verband „keine Position“ zu den Fällen habe, in denen Kameraden als Feuerteufel enttarnt würden. „Da wird der Schwarze Peter hin- und hergeschoben, aber am Ende gibt es keine Erklärungen.“ Nicht einmal eine Statistik gebe es, die die Häufigkeit von Feuerlegern unter den hessischen Brandbekämpfern belege.

Die Führung ist gefragt

Darauf verweist auch Sönke Jacobs, der Pressesprecher des Deutschen Feuerwehrverbandes in Berlin. Bei über einer Million Aktiven könne man auch ohne entsprechendes Zahlenmaterial aber nur von Einzelfällen sprechen, wie unter den Feuerwehrleuten auch andere Straftäter auftauchten – als ungeschöntes Abbild der Gesellschaft.

Immerhin hat der Bundesverband seinen Länderorganisationen doch empfohlen, nach Auffälligkeiten unter den Mitgliedern Ausschau zu halten und zwischen Aufnahme und Prüfung eine Probezeit einzurichten, in der Verstöße gegen den Feuerwehrkodex festgestellt und gegebenenfalls mit Psychologen besprochen werden könnten. Die Menschenführung sei gefragt, um möglichen Brandstiftern in den eigenen Reihen frühzeitig auf die Spur zu kommen. „Man muss versuchen, den Laden sauber zu halten“, so der Feuerwehr-Sprecher.

Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.