Feuer an Wand erhitzt Gemüter

Frankfurt. In Frankfurt ist die Diskussion über den Dämmschutz Polystyrol erneut aufgeflammt, nachdem sich Bewohner der Selma-Lagerlöff-Straße in Ginnheim über einen Brand in der Silvesternacht auch bei der Stadtpolitik beschwert haben. Gestern hat das Thema auch das Stadtparlament erreicht ...

Brandschutz Mieter sehen sich „gefährdet“ – ABG-Chef Junker und Feuerwehrchef Ries streiten über Dämmstoff

VON HERMANN WYGODA

Die Fassade des Hauses Selma-Lagerlöf-Straße 6 am Neujahrstag. Das Feuer aus einer Mülltonne hat die Dämmplatten aus Polystyrol zum Schmelzen gebracht. Die Mieter sagen, die Wand hätte auch gebrannt.
Bild: Die Fassade des Hauses Selma-Lagerlöf-Straße 6 am Neujahrstag. Das Feuer aus einer Mülltonne hat die Dämmplatten aus Polystyrol zum Schmelzen gebracht. Die Mieter sagen, die Wand hätte auch gebrannt.

Planungsdezernent Mike Josef (SPD) hat den Geschäftsführer der ABG-Holding, Frank Junker, und den leitenden Branddirektor Professor Reinhard Ries zu einem Gespräch gebeten. „Wir wollen versuchen, die Brandgefahr, wie in der Silvesternacht wieder deutlich wurde, zu verringern“, sagte Josef auf Anfrage dieser Zeitung. Bei dem Gespräch dürfte es auch darum gehen, zwischen Ries und Junker zu vermitteln.

Der ABG-Chef und der Feuerwehrchef streiten immer mal auch öffentlich darüber, ob und wie brandgefährlich der gängige und auch von der ABG verwendete Dämmstoff Polystyrol – besser bekannt als Styropor – ist. Ries hält ihn für bedenklich, Junker nicht. Nun sorgt der Brand in der Silvesternacht in der Ginnheimer Selma-Lagerlöf-Straße 6 – einem Haus der ABG – für Zündstoff: Ries sagt, die Fassade dort habe „definitiv gebrannt“. Er stützt damit die Aussage von Mietern und Nachbarn des Hauses. „Wir haben es deutlich gesehen“, sagt eine Bewohnerin. Junker aber sagt, die Wand habe nicht gebrannt.

Klar ist: Eine dicht an der Wand stehende Mülltonne brannte, die Flammen sprangen auf die Hauswand über. Auf diese Gefahr hat Ries oft hingewiesen und Brandriegel zwischen den Etagen gefordert. Sie sollen verhindern, dass ein Feuer klettert. 300 Euro würde das pro Etage kosten, schätzt Ries. Junker sagt, die Kosten würden viel höher ausfallen. So oder so: Dezernent Josef will Häuser vor leicht brennbaren Gegenständen wie Mülltonnen schützen. Dass die vielerorts zu nahe stehen, darin sind sich alle einig.

In der gestrigen Sitzung des Stadtparlaments schlug sich der Planungsdezernent auf Junkers Seite: „Bei Neubauten und Modernisierungen stellen Wärmeverbundsysteme eine kostengünstige Maßnahme zur Einhaltung der Energiesparverordnung dar.“ Dieses Material sei in Deutschland zugelassen und werde als sicher eingestuft. Die Verwendung anderer Stoffe führe laut Josef zu einer „erheblichen Verteuerung der Baukosten und einem Anstieg der Mieten“.

Beschwerde per Brief

Zuvor hatten sich Mieter aus der Selma-Lagerlöf-Straße 6 und der Siedlung mit einem Brief an die Stadt gewendet, Teile der Politik haben das Thema aufgegriffen und von der Verwaltung eine Stellungnahme gefordert. Sie sind wegen des Dämmstoffs besorgt, fühlen sich gefährdet – und darin bestätigt durch die kritischen Äußerungen des Feuerwehrchefs. Das Schreiben ging auch an den Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung für Planung, Bau und Wohnungsbau – zusammen mit einer Fotodokumentation des Brandes.

Auch gegenüber dieser Zeitung sagt ABG-Geschäftsführer Junker, dass das Polystyrol nicht gebrannt habe und seine Mieter grundsätzlich nicht gefährdet seien. In einem früheren Interview hat er Branddirektor Ries wegen dessen Warnungen sogar Panikmache vorgeworfen. „Dadurch, dass er das ständig wiederholt, wird es nicht besser.“ Fakt ist: Polystyrol ist als schwer entflammbar eingestuft und deshalb als Baustoff zugelassen. Fakt ist auch, dass es mit dem Flammschutzmittel HBCD behandelt ist. Das wiederum gilt als Umweltgift.

Alte Bedenken

Weil aber Polystyrol am preiswertesten ist, ist es marktführend. Alternative Dämmstoffe würden die Baukosten in die Höhe treiben. Die günstigen Mieten, wie sie die ABG als städtische Gesellschaft verlangt, wären dann nicht mehr möglich, so Junker.

Die Kritik an den sogenannten Wärmeverbundsystemen (WvS) hat in Frankfurt Tradition. Bereits der legendäre Feuerwehrchef Ernst Achilles hatte Versuche mit Polystyrol durchgeführt. Das Ergebnis gefiel ihm gar nicht. Zwar brennt das auch aus Erdöl hergestellte Polystyrol nicht direkt, aber es tropft von der Wand herunter und liegt als schwarze Ölschmiere auf dem Boden. Die Tropfen sind entflammbar, starke Hitze entsteht. Auf Fotos in der Selma-Lagerlöf-Straße, die am Tag danach gemacht worden sind, ist deutlich zu erkennen, dass das Polystyrol geschmolzen ist. Brände in Frankfurt, wie der große in der Adickesallee vor fünf Jahren, haben sich laut Einschätzung von Experten auch deswegen schnell ausbreiten können.

Der Ginnheimer Silvesterbrand könnte laut Ries glimpflich ausgegangen sein, weil er an einer Wand ohne große Fenster entstanden ist. Nichts konnte angesichts der Hitze bersten, kein Funke ins Innere dringen.

Vor der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten waren zwei Anfragen zum Thema eingereicht worden. Die Fraktion „die Frankfurter“ wollte von Wirtschaftsdezernent Markus Frank (CDU) wissen, ob er sich gemäß einer früheren Äußerung dafür einsetzen wolle, dass künftig bei der ABG Holding kein Styropor mehr zur Wärmedämmung eingesetzt wird? Die Fraktion „Die Linke“ will wissen, wie die Feuerwehr die Brennbarkeit des Materials einschätzt.

Auch den zuständigen Ausschuss „Planung, Bau und Wohnungsbau“ wird das Thema beschäftigen. Der wohnungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sieghard Pawlik, hat gegenüber dieser Zeitung angekündigt, er werde beantragen, die Diskussion zwischen der Frankfurter Feuerwehr und der ABG Frankfurt Holding vor diesem Gremium zu führen, da er bereits sehr viele Anfragen besorgter Bürger erhalten habe.

Das Foto hat ein Mieter gemacht. Die Wand scheint zu brennen. Bild: Das Foto hat ein Mieter gemacht. Die Wand scheint zu brennen.

Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.Hinweis: Verwendung der Artikel der Nassauischen Neuen Presse mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Societäts-Druckerei.